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Ich komm ja nich aus deinem Bauch, Mami, ne?

Draußen tobte ein heftiges Gewitter. Stephan war zu mir herunter gekommen. Er hatte Angst und wollte in meiner Nähe sein. Jetzt lag er, warm eingehüllt in eine Wolldecke (denn inzwischen gab er zu, wenn er fror), auf dem Sofa und sah dem Naturereignis aus sicherer Entfernung zu, war fasziniert von den mächtigen, klaren Blitzen, die den Himmel zerschnitten.
"Ich komme ja nicht aus deinem Bauch, Mami, ne?"
"Nein, du kommst nicht aus meinem Bauch."
"Komm ich denn aus dem Bauch von Mama ...?" Er nannte mir den Nachnamen seiner Adoptivmutter.
"Nein, aus dem Bauch kommst du auch nicht."
"Woher komme ich dann?"
Ich hatte ihm das zwar auf vorsichtige Anfragen hin schon früher mal erklären wollen, wenn ich dann jedoch antworten wollte, hatte er immer gleich wieder abgeblockt. "Ach nee, lass lieber sein, ich will davon nichts hören." Dabei hatte er sich die Ohren zugehalten.
"Soll ich es dir wirklich erzählen? Willst du es jetzt hören?"
"Ja, mach ruhig ..."
"Du kommst aus dem Bauch einer Frau, die sehr viel Schwierigkeiten damit hatte, mit Kindern umzugehen. Sie konnte sie einfach nicht versorgen, hatte nicht genug Kraft dazu. Drei Geschwister von dir sind dabei gestorben. Dich wollte man beschützen und hat dich deshalb zu diesen anderen Leuten gegeben. Sie konnten ja nicht wissen, dass die auch nicht richtig nett zu dir sein konnten. Dann bist du zu mir gekommen, und jetzt ist alles in Ordnung. Hier gehörst du auch hin."
Er nickte stumm in meinem Arm.
"Deine richtige Mutter kenne ich nicht", fügte ich nach einer kurzen Weile hinzu.
"Das ist nicht meine richtige Mutter", sagte er, "du bist meine Mama."
"Da hast du recht, jetzt bin ich deine Mama und das bleibe ich auch bis ich alt und grau geworden bin."
Seine großen Augen sahen mich an. "Alt und grau? Aber dann stirbt man doch. Wann stirbst du, Mami?"
Wieder hatte ich ihm Angst gemacht, ohne es zu wollen.
"Genau wissen kann man das nie. Alle Menschen müssen irgendwann sterben. Doch ich bin sicher, dass du dann schon ein großer Mann sein wirst, der für sich selbst sorgen kann."
"Aber ich will nicht, dass du stirbst, auch nicht, wenn ich groß bin."
"Das kann man nicht ändern, Schatz. Aber das ist auch gut so. Alle Menschen müssen irgendwann sterben. Ich möchte auch nicht alt und klapprig, ohne Zähne im Mund und mit einem kranken Körper ewig weiterleben. Dann sterbe ich lieber irgendwann und werde vielleicht eines Tages als kleines Baby wieder neu geboren und fange noch einmal ganz von vorne an. Auch du wirst älter und immer älter und wirst irgendwann sterben, wenn du ganz alt bist. Das Sterben gehört zum Leben nun mal dazu. Aber vorher machen wir uns ein lustiges Leben, ja? Wir haben ja auch noch eine Menge Zeit ..."
"War ich denn auch schon mal ein alter Mann, Mami?"
"Du meinst, bevor du geboren wurdest?"
"Ja."
"Vielleicht. Vielleicht auch eine Frau oder ein Hund oder eine Katze oder ein Baum ... Kein Mensch weiß das genau. Einige glauben daran, dass man nicht nur einmal lebt. Ich glaube das auch. Deshalb ist der Tod für mich auch nichts Schlimmes. Er ist für mich wie das Tor zu einem neuen Leben. Deshalb habe ich keine Angst vor ihm. Aber ich will natürlich so lange leben wie es geht. Ganz lange und ganz glücklich."
"Ja, das will ich auch."



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