Ich traf mich mit unserer 'Elterngruppe'. Wir hatten gemeinsam die
Schulungsabende des Sozialdienstes besucht und waren zu einer festen
Gemeinschaft zusammengewachsen, sahen uns häufig auch privat. Wir
sprachen über alles, was wir im Elternkurs dazugelernt hatten,
rätselten, wer von uns wohl als erstes ein Kind bekäme, sprachen
über unsere Erwartungen, Hoffnungen und Ängste.
Natürlich wünschte sich jeder von uns ein möglichst gesundes
Kind, intelligent, hübsch, und das Ganze möglichst schnell
und möglichst unproblematisch. Andererseits war uns klar, dass
ein Kind nicht ohne Grund von der leiblichen Mutter oder von den leiblichen
Eltern getrennt wurde. Die wenigsten Schwierigkeiten vermuteten wir
bei der Aufnahme eines Säuglings. Frisch aus dem Mutterleib konnte
er - wie wir meinten - noch nicht allzu gravierende traumatische Erlebnisse
hinter sich haben, würde relativ 'unverbaut' in unseren Haushalt
überwechseln. Gedanken über genetische Dispositionen machten
sich eher unsere Verwandten. Da kamen schon mal Bemerkungen wie: "Wer
weiß was ihr euch großzieht", oder "Die Anlagen
der leiblichen Eltern werden eines Tages durchbrechen, egal was ihr
tut ..."
Bei dem Gedanken an ein älteres Kind griffen unsere Ängste
schon eher. Wer konnte wissen, was es in seinem Leben bereits hinter
sich hatte, wie sehr seine Geschichte es geprägt hatte? Argumente,
die oft auch von den Menschen unseres direkten Umfeldes angeführt
wurden. Wir würden das Wagnis eingehen, uns auf ein Kind einzulassen,
das schon einige Jahre in anderen Bezügen, mit anderen Bindungen
verbracht hatte, unter Umständen schwer misshandelt worden war.
Würden wir es je schaffen, sein Vertrauen zu gewinnen, seine Geschichte
umzuschreiben, es voll und ganz ein Mitglied unserer Familie werden
zu lassen?
Martin und ich waren bereit uns darauf einzulassen, wie aber würden
unsere Familien damit umgehen? Würden die Großeltern das
Kind als einen Fremdkörper betrachten? Würden sie leibliche
und nicht leibliche Enkel unterschiedlich behandeln? ...